02. December 2014 – Diskussion über anstehende Gesetzesvorhaben auf europäischer und deutscher Ebene
Führende Köpfe aus Politik, Recht und Wirtschaft diskutierten gestern beim Kongress Urheberrechtspolitik 2014 in Berlin aktuelle Tendenzen und Entwicklungen der Urheberrechtspolitik in Deutschland und auf europäischer Ebene. MariaMartin-Prat, Mitglied der Europäischen Kommission, Directorate General Connect, Head of Unit–Copyright stellte hierzu die Position der Europäischen Kommission dar. Matthias Schmid, Leiterdes Referats Urheber- und Verlagsrecht des Bundesministeriums der Justiz und fürVerbraucherschutz, fasste die Agenda der Bundesregierung zusammen. Der Kongress lieferte wichtige Erkenntnisse: Auf europäischer Ebene ist eine Aufweichung des Territorialprinzips bei Online-Diensten zu erwarten. Analog zu Jean-Claude Junckers erster Priorität – der Schaffung eines digitalen Binnenmarktes für Verbraucher und Unternehmen – wird auch die neu gewählte EU-Kommission als erstes Projekt die Gesetzgebung angehen. In Deutschland wird die Reform des Urheberwahrnehmungsgesetzes bis Mitte 2015 abgeschlossen sein. Dies wird sowohl die Umsetzung der Richtlinie als auch einige deutsche Sonderfragen betreffen.
Die Veranstaltung des Ministeriums für Wirtschaft und Energie des Landes
Brandenburg und der Senatskanzlei des Landes Berlin in Kooperation mit
dem Erich Pommer Institut wurde gefördert vom Medienboard
Berlin-Brandenburg und ist Auftakt für eine jährliche Reihe Kongress Urheberrechtspolitik,
die den urheberrechtspolitischen Prozess begleiten und neue Impulse für
eine Entwicklung im digitalen Zeitalter ermöglichen soll. Durch die
Veranstaltung führte Prof. Dr.Jan Bernd Nordemann, LL.M., außerdem moderierten Prof. Dr. Ulrich Michel, Prof. Dr. Lothar
Mikos und Dr. Martin Schaefer.
Vertreter und Vertreterinnen der Bundestagsfraktionen und Parteien,
Verbände und Initiativen stimmten bei der Beurteilung der aktuellen
Urheberrechtspolitik dahingehend überein, dass Handlungsbedarf für einen
fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern, Rechteinhabern und Nutzern
besteht. Schwerpunkte werden von den Akteuren jedoch unterschiedlich
herausgestellt. Bereits die Einschätzung des Status quo fällt
unterschiedlich aus.
Ansgar Heveling (MdB, CDU/CSU): „Die Reform des Urheberrechts
nimmt im Koalitionsvertrag einen breiten Raum ein. Dies ist unsere
Richtschnur für die weitere Arbeit der Regierungsfraktionen. Aus meiner
Sicht haben wir in den Koalitionsverhandlungen eine gute Basis dafür
geschaffen, die dringenden Reformen im Urheberrecht umzusetzen. Das ist
nunmehr fast ein Jahr her. Deshalb kommt der Kongress Urheberrechtspolitik 2014 genau zur richtigen Zeit – es ist Zeit, den formulierten Vorhaben nun auch Taten folgen zu lassen.“
Saskia Esken (MdB, SPD) stellt fest: „Wir brauchen eine
zeitgemäße Weiterentwicklung des Urheberrechts, um den Herausforderungen
der Digitalisierung gerecht zu werden. Im Bereich Bildung und
Wissenschaft ist die Entfristung des §52a Urheberrechtsgesetz ein erster
Schritt in die richtige Richtung. Weitere müssen folgen, denn
Wissenschaftler, Lehrkräfte und Lernende sind durch die Angst vor teuren
Abmahnungen stark verunsichert und nutzen die Chancen der Digitalisierung
für eine vernetzte und kollaborative Bildungslandschaft deshalb nur
mit angezogener Handbremse.“
Halina Wawzyniak (MdB, DIE LINKE) rechtspolitische Sprecherin der
Fraktion im Bundestag, fordert, das Urhebervertragsrecht müsse dringend
angegangen werden. „Kreativschaffende müssen deutlich besser gegenüber
den Verwertern gestellt werden, als es momentan der Fall ist. Dazu
gehören die Einschränkung von Total-Buy-out-Verträgen und die
Möglichkeit für Kreativschaffende, ihre Vergütung nachzuverhandeln, wenn
sie sich im Nachhinein als nicht angemessen herausstellt. Hier ist dann
auch die Bundesregierung gefragt, die Initiative zuergreifen. Konkrete
Umsetzungsvorschläge gibt es genug, zum Beispiel von der Fraktion
DIELINKE.“
Malte Spitz (Bündnis 90/Die Grünen) bringt als Mitglied des
Parteirats den Standpunkt seiner Partei wie folgt auf den Punkt: „Wir
Grüne treten für einen fairen Interessensausgleich im Urheberrecht ein,
dies erfordert auch Innovationen. Deswegen fordern wir neue Schranken
im Urheberrecht, um sowohl die transformatorische Nutzung von
urheberrechtlich geschützten Werken im definierten nichtkommerziellen
Umfang abzusichern als auch die nichtkommerzielle Vervielfältigung
(offline wie online) gegen angemessene Vergütung zu ermöglichen.“
Prof. Dr. Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht,
fordert eine EU-weite Regelung des Urhebervertragsrechts. Sollte diese
nicht erfolgen, bestimmten auch weiterhin ausschließlich Verleger und
Produzenten über die Verwertung der Werke. Besonders wichtig sei dies für
die Branchen Film, Fernsehen (vor allem privat organisiertes TV),
Presse, Buch, weniger schwierig bei Musik, weil dort starke
Verwertungsgesellschaften existieren, die wesentliche
Rechte kollektiv verwalten. Die Vergütung insbesondere der digitalen
Nutzungen von Werken europäischer Urheber müsse europaweit gesichert und
ein Abgabensystem eingeführt werden, auf dessen Grundlage Intermediäre,
z.B. Google, die Urheber und ausübenden Künstler für Nutzungen ihrer
Werke durch Dritte zu privaten Zwecken auf ihren Plattformen
entschädigen. Die Verteilungsstruktur könne in Anlehnung an die
Verteilung der Privatkopie organisiert werden.
Katharina Hiersemenzel, Copyright Policy Counsel EMEA, Motion
Picture Association, kommentiert wie folgt: „Die Europäische Kommission
identifiziert das Urheberrecht und ‚national isolierte
Urheberrechtssysteme’ als eine Barriere zum Digitalen Binnenmarkt. Alles
deutet daraufhin, dass dies in Wahrheit nicht so ist. Wenn die
Barrieren, die es geben mag, jedoch außerhalbdes Urheberrechts liegen,
warum muss dann das Urheberrecht geändert werden? Studien, von der
Kommission selbst in Auftrag gegeben, belegen zudem eine geringe, echte
Nachfrage für Inhalte aus anderen EU-Ländern. So können Plattformanbieter
auch schon heute multi-territoriale oder gar pan-europäische Lizenzen
erwerben, tun es aber häufig nicht. Soweit es eine Nachfrage gibt,
entwickelt der Markt bereits jetzt grenzüberschreitende Modelle; dies
ist mit dem Status quo problemlos möglich – und es gibt derzeit über
3.000 On-Demand-Services in Europa. Das Internet floriert.
Filmproduzenten und Anbieter bereichern das Internet mit ihren Filmen
und kreativen Inhalten und sind Motor einer kontinuierlichen Entwicklung,
die es den Nutzern erlaubt, auf vielzählige Angebote Zugriff zu haben.
Am Urheberrecht sowie der Territorialität der europäischen Filmproduktion
und Lizenzierung zu rütteln, erschüttert das Fundament der europäischen
Filmproduktion und Filmdistribution und gefährdet die kulturelle
Vielfalt Europas.“
Dr. Florian Drücke, Geschäftsführer des Bundesverbandes
Musikindustrie (BVMI), sagt: „Es ist aus unserer Sicht wünschenswert,
dass man die von der letzten Kommission geleisteten Vorarbeiten bei den
aktuellen Überlegungen ernst nimmt und nicht wieder ganz von
vorne anfängt. Generell ist uns wichtig, dass Fragen der Durchsetzbarkeit
von Rechten nicht unter denTisch fallen.“
Dr. Till Kreutzer, Rechtsanwalt, iRights.info, fasst zusammen:
„[...] Während das Urheberrechtvon dem Grundsatz ausgeht, dass jede
Werknutzung, jede Kopie, einer individuellen Einwilligungdes
Rechteinhabers bedarf, wird das Netz von der Kultur des Teilens
beherrscht. Milliarden Menschen kommunizieren nutzen über Online
Netzwerke. Hierbei teilen sie Inhalte und Informationen, erschaffen neue
Inhalte unter Verwendung fremder Werke und stellen sie frei zur
Verfügung. Aufgrund des genannten Grundansatzes des Urheberrechts sind
die meisten Nutzungen dieser Art illegal, ein unhaltbarer Zustand. Das
Urheberrecht wird diese Entwicklungnicht aufhalten. Entweder es werden
angepasste Schutzmechanismen geschaffen, die diese massenhaften
Phänomene effizient und fair regeln. Sie müssen geeignet sein, die
Interessen der Urheber und Verwertungswirtschaft zu sichern, ohne dabei
die Kultur-, Nutzungs- und Kommunikationspraktiken der Digitalen Welt zu
ersticken. Oder das Urheberrecht schafft sich selbst ab und lässt sich
von der Macht des Faktischen überrollen.“
„Die Bundeszentrale für politische Bildung fühlt sich dem Ziel einer
offenen Kultur verpflichtet. Das heißt: Wir wollen so viele Menschen wie
möglich an der Wissensproduktion sowie am Prozess und den Resultaten
kreativen Arbeitens beteiligen – in der Schule, der Wissenschaft und in
der Bildung. Offene Kultur ist eine Kultur, in der so viele Inhalte wie
möglich zugänglich gemacht werden, oder anders gesagt: Der Mensch soll
nicht erst schüchtern um Erlaubnis fragen müssen, wenn er mit unseren
Angeboten seinen Alltag bereichert – auch weil wir wollen, dass unsere
Angebote ihm diesen Alltag erklären“, so Thomas Krüger, Präsident Bundeszentrale für
Politische Bildung.
Bitte wenden Sie sich bei Rückfragen und Interviewanfragen an Marijana Harder (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, harder@epi-medieninstitut.de, 0331- 721 28 84).